„Mehr gegenseitiger Respekt wäre schön“

Aus der heutigen Rems Zeitung: Mobilität: Die Kidical Mass will auf die Herausforderungen für junge Radfahrer aufmerksam machen. Die fünfte Auflage am Samstag in Schwäbisch Gmünd zog rund 130 Teilnehmende an: Lastenradfahrer, Eltern, Grundschüler und „große Kinder“. Der gemeinsame Wunsch: gegenseitiger Respekt im Straßenverkehr.
SCHWÄBISCH GMÜND. Lukas ist extra aus Alfdorf gekommen, um bei der Kidical Mass mitzufahren. „Er geht in Gmünd zur Schule und hat dort die Flyer gesehen“, erzählt seine Mutter. „Er fährt leidenschaftlich gerne Fahrrad und wollte unbedingt dabei sein.“ Also stehen sie an diesem grauen Samstagvormittag im September mit rund 80 anderen Teilnehmenden vor dem Gmünder Bahnhof und warten, dass die Fahrraddemo losgeht. 130 Teilnehmende waren es zum Schluss insgesamt, wie die Veranstalter berichten – unterwegs kamen einige dazu.
„Die Kidical Mass richtet sich vor allem an Kinder und Familien“, beschreibt Sebastian Fritz, s.ö.l.-Stadtrat, Vater und Radfahrer. „Deshalb geht es hier auch nicht um verkehrspolitische Entscheidungen, sondern darum, auf Kinder als Verkehrsteilnehmer aufmerksam zu machen.“ Es müsse auch für jüngere Kinder möglich sein, mit dem Fahrrad sicher durch die Stadt zu kommen. „Uns geht es darum, eine gesunde Koexistenz im Straßenverkehr zu schaffen.“ Darum soll das Thema Fahrradstraße bei dieser Demo auch nicht im Vordergrund stehen – auch, wenn der Bürgerentscheid kurz bevorsteht.
Trotzdem sind einige Anwohner der Südstadt mit ihren Kindern dabei, die sich als klare Befürworter der Fahrradstraße zeigen. Da sind zum Beispiel Marco Stehle und seine Tochter Ines, die in der Klarenbergstraße wohnen. „Wir fahren jede Strecke mit dem Fahrrad, wenn es geht.“ Die
fünfjährige Ines aber alleine mit dem Fahrrad in die Kita oder später zur Schule fahren lassen? „Das käme derzeit nicht infrage.“ Das liege aber nicht nur an der Klarenbergstraße, sondern an der fehlenden durchgehenden Radinfrastruktur allgemein.
Auch die Mutter von Jona, neun Jahre, und Maira, sechs Jahre, hat eigentlich kein gutes Gefühl, wenn ihre Kinder alleine mit dem Rad unterwegs sind. Die Familie aus der Goethestraße war schon bei der vergangenen Kidical Mass dabei und wünscht sich besser erschlossene Radwege. „Wenn
ich zur Schule fahre, gibt es viele Stellen, an denen ich gut auf die Autos aufpassen muss“, erzählt Jona. Maira wiederum findet die Klarenbergstraße „doof“. „Da ist zu wenig Platz“, findet sie. Denn auf dem Bürgersteig stehen oft Mülltonnen oder E-Scooter, auf der Straße kommen ihr die Autos zu nahe.
„Wir wohnen in der Gutenbergstraße“, berichtet Tobias Will, „da fährt fast niemand 30 km/h.“ Umso größer die Hemmungen, die beiden Töchter jetzt oder in Zukunft alleine mit dem Fahrrad loszuschicken. „Wenn wir mit dem Fahrradanhänger unterwegs sind, wurden wir schon von Autos über den Bürgersteig überholt“, so der Familienvater. „Mehr gegenseitige Rücksichtnahme wäre schön.“ Die Fahrradstraße wäre seiner Ansicht nach ein
erster Baustein dazu. Und die Kosten von rund 300.000 Euro? Immerhin fehlt in Schwäbisch Gmünd gerade Geld an allen Ecken und Enden. „Das ist viel Geld“, gibt Will zu. „Aber zumindest die 130.000 Euro für den Bürgerentscheid hätte die Stadt sparen können, wenn der Beschluss zur
Klarenbergstraße nicht gekippt worden wäre.“
Allgemein sind viele E-Lastenräder und Fahrräder mit Anhängern bei der Demo dabei. „Wir haben unseren Zweitwagen verkauft und nutzen das E-Lastenrad jetzt, um einkaufen zu fahren oder uns mit Kind innerhalb der Stadt zu bewegen“, erläutert Matthias B. aus Straßdorf. Im Lastenwagen
sitzt seine Tochter Emmeline, mit Helm und Anschnallgurt. Dieses Modell hat sogar eine Art durchsichtiges Dach, das bei Regen die kostbare Fracht schützt. Papa hat ihr Laufrad zwar dabei, die Vierjährige zieht es diesmal aber vor, sich fahren zu lassen.
Die meisten Teilnehmenden der Kidical Mass aber müssen selbst strampeln. Denn auch wenn die Veranstaltung sich an Kinder und Familien richtet, sind einige Erwachsene ohne Kinder dabei. Oder, wie die 28-Jährige Dorina Baiker es grinsend ausdrückt: „Ich bin halt ein großes Kind!“
Copyright Rems Zeitung, 29.09.2025