Gmünder Kardiologen für Fahrradstraße

Aus der Rems Zeitung vom 15.04.2025: Mobilität: Zahlreiche Initiativen machen sich mittlerweile für die Klarenbergstraße als Fahrradstraße stark. Nun auch die Gmünder Kardiologen. Sie warnen vor den gesundheitlichen Folgen mangelnder Bewegung im Alltag. Zudem läuft ein Bürgerbegehren für die Fahrradstraße.
SCHWÄBISCH GMÜND. Das Vorhaben, die Klarenbergstraße in eine Fahrradstraße umzuwandeln, ist vorerst gescheitert. Zwar steht ein Bürgerbegehren noch aus, doch in der ersten Instanz wurde die Initiative von Anwohnern, politischen Vertretern und Fahrradaktivisten abgelehnt. Der von der Stadtverwaltung vorgelegte Kompromiss konnte weder die Anlieger noch
die Radfahrenden überzeugen.
Nun meldet sich eine neue Stimme in der Debatte zu Wort: die Gmünder Kardiologen. In einem offenen Brief, der der Rems-Zeitung am Montag vorlag, sprechen sie sich deutlich für die Umwandlung der Klarenbergstraße in eine Fahrradstraße aus. Bewegung im Alltag sei ein zentraler
Baustein für die Herzgesundheit, so die Mediziner. Sichere Wege für Radfahrende könnten entscheidend dazu beitragen, dass mehr Menschen das Fahrrad im Alltag nutzen – mit enormen gesundheitlichen Vorteilen. „Schon 15 Minuten Radfahren täglich können das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen um 14 Prozent senken“, heißt es in dem Schreiben.
„Schon 15 Minuten Radfahren täglich können das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen um 14 Prozent senken“, Gmünder Kardiologen in einem offenen Brief
Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck und Diabetes ließen sich durch regelmäßige Bewegung an der frischen Luft nachweislich reduzieren. Zudem stärke körperliche Aktivität das Immunsystem, wirke Übergewicht entgegen und habe positive Effekte auf die Psyche sowie den Alterungsprozess. Die ärztliche Botschaft ist klar: Eine fahrradfreundliche Infrastruktur sei keine bloße Verkehrsidee, sondern gelebte Prävention. Ein eindringlicher Verweis auf die Statistik untermauert ihre Forderung: Im Jahr 2023 starben in Deutschland fast 350.000 Menschen an kardiovaskulären Erkrankungen – das sind 224 Todesfälle pro 100.000 Einwohner. Bewegungsmangel zählt neben
Rauchen und Fehlernährung zu den Hauptursachen.
Die Klarenbergstraße eigne sich aus Sicht der Mediziner hervorragend als Fahrradstraße, da sie eine direkte Verbindung zwischen Stadt und Hochschule darstellt. Der offene Brief wurde von allen Mitgliedern des Qualitätszirkels Kardiologie Schwäbisch Gmünd unterzeichnet.
Die Hoffnung der Radfahrenden und ihrer Unterstützer ruht nun auf dem Bürgerbegehren „Sicher ins Städtle“. Die Initiative will bis spätestens Montag, 5. Mai, insgesamt 3500 Unterstützer-Unterschriften bei der Stadtverwaltung einreichen. Wird die erforderliche Zahl erreicht, muss der Gemeinderat die abgelehnte Fahrradstraße erneut behandeln.
„Wir müssen schon noch Gas geben“, sagt Kevin Kärcher, einer der Mitinitiatoren. Doch er gibt sich optimistisch: „Ganz schlecht sieht es nicht aus.“ In der Innenstadt werden an Informationsständen Unterschriften gesammelt – auch politische Vertreter wie söl-Stadtrat Andreas
Dionyssiotis beteiligen sich aktiv. „Es gibt viele gute Gespräche und dazu gehören natürlich auch kritische Stimmen“, beschreibt er die Stimmung.
Die Organisatoren setzen auf bürgerliches Engagement und laden Interessierte am Dienstag, 15. April, um 18 Uhr zu einem offenen Treffen in den Bioweinladen Fresco in der Münstergasse 8 ein. Alle, die das Bürgerbegehren unterstützen oder sich über den Plan zur Klarenbergstraße informieren möchten, sind willkommen.
Auch politisch schlägt die Entscheidung gegen die Fahrradstraße Wellen. OB-Kandidat Dario Thiem (Grüne) äußerte sich in der vergangenen Woche mit scharfen Worten. Die Absage sei für ihn „ein deutlicher Schritt in die falsche Richtung“. Viele Bürgerinnen und Bürger hätten auf dem Gmünder Wochenmarkt ihre Enttäuschung geäußert, so Thiem. Er betont die Vorteile einer modernen Radinfrastruktur: sichere Schulwege, mehr Gesundheit, geringerer Verkehrslärm und höhere Aufenthaltsqualität in Wohnquartieren. Unverständnis zeigt Thiem besonders über die jüngste Aussage von Oberbürgermeister Richard Arnold, man müsse davon wegkommen, „jeder Verkehrsart ihren eigenen Platz zuzuweisen“. Diese Haltung sei ein Widerspruch zu dem ursprünglich verabschiedeten Entwurf, der alle Verkehrsarten berücksichtigt und den KfzVerkehr weiterhin zugelassen hätte. Ohne mutige Schritte in der Verkehrsplanung, warnt Thiem, drohe der Stillstand.
Die söl-Fraktion im Gemeinderat schließt sich dieser Kritik an. In ihrer Stellungnahme verweist sie auf den Rückstand Gmünds im Vergleich zu Städten wie Tübingen, das kürzlich seine vierte beheizte Fahrradbrücke eröffnete. Dort werde die Infrastruktur aktiv zugunsten des ganzjährigen Radverkehrs weiterentwickelt, während Gmünd die Chance auf seine erste Fahrradstraße verstreichen lasse. Die Fraktion erinnert auch an die Fortschritte, die Schwäbisch Gmünd mit der
Gartenschau 2014 erreicht habe. Damals wurde der innerstädtische Verkehr neu geordnet, doch das Fahrrad sei im Stadtkern weitgehend vergessen worden. Außerhalb der Stadt seien Radwege hauptsächlich auf den Tourismus ausgelegt. Besonders kritisch äußert sich söl über das
Verhalten von OB Arnold, dessen „Querschüsse“ gegen Radfahrende ihrer Meinung nach den Boden für die Entscheidung bereitet hätten. In der Ablehnung der Fahrradstraße sehen sie „einen Rückfall der städtischen Verkehrspolitik in die 70er Jahre“.
_ Was ist eine Fahrradstraße?
Eine Fahrradstraße ist eine speziell ausgewiesene Straße, die vorrangig dem Radverkehr dient. Sie ist durch das Verkehrszeichen 244.1 – ein blauer Kreis mit weißem Fahrradsymbol – gekennzeichnet. Ziel ist es, den Radverkehr sicherer und attraktiver zu gestalten, besonders dort,
wo separate Radwege nicht realisierbar sind. Kraftfahrzeuge dürfen eine Fahrradstraße nur befahren, wenn ein Zusatzschild – etwa „Anlieger frei“ – dies ausdrücklich erlaubt. Auch dann gelten klare Regeln: Maximal 30 km/h, Vorrang für Radfahrende, die nebeneinander fahren
dürfen, sowie ein Mindestabstand von 1,5 Metern beim Überholen. Durchgangsverkehr ist meist untersagt. An Kreuzungen gilt, sofern nichts anderes ausgeschildert ist, „rechts vor links“. Geparkt werden darf nur dort, wo es ausdrücklich erlaubt ist. Kinder unter acht Jahren müssen – auch in
Fahrradstraßen – weiterhin auf dem Gehweg fahren. Dass Bürgerbegehren in Schwäbisch Gmünd Wirkung zeigen können, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. 1996 verhinderten über 10.000 Unterschriften den Bau einer Tiefgarage bei der Klösterleschule.
Auch später folgten erfolgreiche Initiativen: 2013 wurde eine geplante Sommerrodelbahn im Taubentalwald gekippt, 2018 der Neubau eines Hallenbads am Nepperberg verhindert. Doch im Gegensatz zu diesen Beispielen, die sich gegen bestimmte Bauvorhaben richteten, sei das
aktuelle Bürgerbegehren konstruktiv, wie Andreas Dionyssiotis betont: „Wir für etwas anstatt gegen etwas.“ Die Initiative „Sicher ins Städtle“ sei damit auch ein positives Signal für eine Verkehrswende mit bürgerschaftlicher Beteiligung.
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