Kombi-Lösung nur mit „richtiger“ Notaufnahme
Aus der Rems Zeitung: SCHWÄBISCH GMÜND. Was wäre wenn? Diese Frage treibt Bürgerinnen und Bürger in der Debatte über die Zukunft der Kliniken Ostalb um. Und auch den DRK-Kreisverband Schwäbisch Gmünd. Die Retter des Roten Kreuzes blicken mit gemischten Gefühlen auf die Klinikreform im Landkreis. Einerseits braucht es eine Reform, andererseits soll sich Hilfsfrist nicht wesentlich verschlechtern. Landrat Joachim Bläses Favorit ist ein Zentralklinikum mit Fachbereichen nahe Essingen, dazu an den Standorten Mutlangen und Ellwangen je eine „kleine“ Klinik, die zwar Notfälle, aber nicht unbedingt Spezialfälle behandeln kann. Aalens Oberbürgermeister Frederick Brütting hat eigene Ideen. Anstelle eines Neubaus bei Essingen schlägt er mit der Kombi-Lösung einen Neubau am Standort des Ostalb-Klinikums vor. Beide Varianten haben Folgen für den Rettungsdienst, wie Rettungsdienstleiter Tobias Gerhardts sagt.
Was denken Sie als Rettungsdienstleiter des DRK-Kreisverbands Gmünd über die Klinik-Debatte im Ostalbkreis, Herr Gerhardts?
Grundsätzlich denke ich schon, dass etwas passieren muss. So weiterzumachen, wird nicht funktionieren. Die Frage ist halt, wie man etwas verändert. Es sollte immer im Einklang mit der Patientenversorgung passieren und aus rettungsdienstlicher Sicht so wenig wie möglich Einbuße in der Notfallversorgung haben. Und wir sollten ehrlich kommunizieren, was eine Veränderung wirklich bedeutet.
Was befürchten Sie?
Bei einer geplanten Operationen am Knie oder anderen elektiven Behandlungen ist es beispielsweise kein Problem, nach Aalen zu fahren. Oder nach Mutlangen. Für solche Angelegenheiten ist es durchaus sinnvoll, Angebote an einem Standort zu bündeln, da zählen ja auch Themen wie Fallzahlen, Erfahrungen et cetera mit hinein. Aber es geht eben auch um Notfälle und die Frage der Betroffenen, wie man diese übersteht, wie das outcome ist. Wir müssen
schauen, dass wir auf dem jetzigen Niveau bleiben und uns nicht wesentlich verschlechtern. Der Standort kann durchaus Auswirkungen auf diese Frage haben.
Fühlen Sie sich dann genug eingebunden in diese Diskussion momentan?
Die Leitstelle Ostalb ist als übergeordneter Ansprechpartner in die Diskussion eingebunden. Sie hat Daten für den gesamten Kreis und für den kompletten Rettungsdienst im Ostalbkreis. Denn es geht ja nicht nur um Schwäbisch Gmünd und das DRK, sondern um den gesamten Kreis und die
anderen Rettungsdienste.
Mit welchen Herausforderungen ist das DRK bei der Klinikreform beschäftigt?
Uns geht es besonders um die Fahrzeiten und dass wir innerhalb von vertretbaren Zeiten Patienten in die Klinik bringen. Das ist das Entscheidende. Es spielt eine Rolle, ob das neue Krankenhaus am jetzigen Standort des Ostalb-Klinikums angesiedelt wird, oder nach Essingen kommt und näher
bei uns ist. Aus rettungsdienstlicher Sicht müssen die Fahrtzeiten eben so kurz wie möglich sein, damit wir in einer vertretbaren Zeit in der Klinik sind. In höchstens 15 Minuten sollen die Retter am Ort des Geschehens eintreffen und dann möglichst schnell mit Patienten eine Klinik erreichen.
Gelingt das beim DRK Gmünd?
Drei Zeiten sind entscheidend. Es gibt die sogenannte Hilfsfrist von aktuell 15 Minuten. Dies ist die Zeit, innerhalb der wir am Einsatzort sein müssen. Das ist eine gesetzliche Vorgabe, die wir aktuell mit unseren Rettungswagen in rund 95 Prozent aller Fälle auch einhalten. Dann gibt es die Versorgungszeit und die Zeit bis in die Klinik. Bei der Versorgungszeit kommt es natürlich auf die Erkrankung, beziehungsweise die Verletzung an. Eine Schnittverletzungen beispielsweise ist nicht unbedingt zeitkritisch, braucht aber auch wenig Zeit zum Versorgen. Dann gibt es Diagnosen, bei denen die Zeit sehr wohl eine Rolle spielt. Schlaganfall, Herzinfarkt, Schwerstverletzte und andere. Hier brauchen wir am Einsatzort oft viel länger, bis wir die Transportfähigkeit hergestellt
haben. Da geht es um Zeit. Insgesamt dürfen laut Rettungsdienstplan Baden-Württemberg bei solchen Diagnosen von Notrufeingang bis zur Klinik maximal 60 Minuten vergehen. Das ist die Vorgabe.
Wird diese Regel derzeit eingehalten?
Wir halten diese Regel momentan zu einem sehr hohen Prozentsatz ein. Das ist eine einfache Rechnung. Nehmen wir einen solchen Fall zum Beispiel in Spraitbach an. Von hier aus fahren wir zehn Minuten dorthin. Nach 20 bis 30 Minuten Versorgung bleiben noch 20 bis 30 Minuten bis in die nächste geeignete Klinik. Das schaffen wir gut nach Mutlangen, Richtung Aalen wird das eng, auch mit Sonderrechten.
Im Kreistagsbeschluss ist die Rede von einem Regionalversorger, also einem neuen Zentralklinikum irgendwo bei Essingen mit vielen Fachdisziplinen, das flankiert wird von zwei „kleineren“ Kliniken in Mutlangen und Ellwangen, eine mit, eine ohne Notaufnahme.
Genau das ist die Frage für den Rettungsdienst. Was passiert mit der Notaufnahme? Für uns funktioniert das nur, wenn es eine Notaufnahme gibt, hinter der wirklich alles steht. Eine durchgehende OP-Bereitschaft, Beatmungsmöglichkeiten, eine Intensivstation, CT-Bereitschaft et cetera. Wenn wir Herzinfarktpatienten dorthin fahren sollen, braucht es ein Herzkatheter-Labor.
Bleibt die Notaufnahme in Mutlangen mit solchen Versorgungsmöglichkeiten bestehen, können wir Notfälle auch weiterhin dorthin bringen. Ohne eine solche Notaufnahme könnten wir zum Beispiel den schwerstverletzten Patienten nicht innerhalb einer Stunde in eine geeignete Klinik fahren.
Worauf kommt es an? Viele Notarzt Standorte, mehr Kliniken?
Nicht unbedingt. Beim Schlaganfall zum Beispiel ist meist nicht der Notarzt entscheidend, sondern die Zeit. Ziel ist aber, dass unsere Rettungswagenbesatzungen deutlich mehr Einsätze ohne Notärzte abwickeln. Das neue Berufsbild des Notfallsanitäters mit seinen erweiterten Kompetenzen gibt das her. Die Kolleginnen und Kollegen sind entsprechend geschult, um anhand festgelegter Handlungspfade bisher dem Notarzt vorbehaltene Maßnahmen eigenständig durchzuführen. Wir
machen hier unsere Hausaufgaben und sind für die Zukunft gerüstet, die Versorgung muss aber Anschluss inden und entscheidend für die Anschlussfähigkeit ist die Ausgestaltung der Klinik und deren Erreichbarkeit.
Nun hat Oberbürgermeister Frederick Brütting aus Aalen eine so genannte Kombi-Lösung vorgeschlagen, also ein Neubau am jetzigen Standort des Ostalb-Klinikums. Das sei billiger, ökologischer und von Gmünd wie Bopingen mit gleichen Fahrtzeiten erreichbar. Nach dem Ausbau der B29 sei es nochmal schneller. Wie sehen Sie das?
Ob das baulich vernünftig ist, kann ich nicht sagen. Aus Schwäbisch Gmünder Sicht wäre mir ein Haus am liebsten, das so nahe als möglich an Schwäbisch Gmünd liegt. Wobei wir natürlich immer das Große und Ganze sehen müssen. Es gibt nicht nur Schwäbisch Gmünd und auch nicht nur
Aalen, es gibt auch noch ein Außenherum und wir dürfen aus Gmünder Sicht natürlich auch nicht die nord-östlichen Bereiche abhängen.
Brüttings Argument: Aalen liegt knapp drei Kilometer vom geograischen Mittelpunkt des Ostalbkreises entfernt. Spielt das eine Rolle?
Man könnte es auch von der Bevölkerungsdichte her sehen. Ich denke, wir haben mit dem Raum Aalen und dem Raum Schwäbisch Gmünd zwei Ballungsräume und brauchen für beide Räume eine Klinikstruktur, um Notfälle in adäquater Zeit versorgt zu bekommen. Zudem ja nicht nur die geograische Mitte entscheidend sein kann, sondern viele weitere Punkte mitzählen sollten. Bevölkerungsdichte, Straßenverhältnisse und so weiter. Ob nun ein großer Regionalversorger in Essingen oder Aalen steht, ist für uns nicht entscheidend. Entscheidend ist, wenn wir den Regionalversorger nicht in einigermaßen vernünftiger Zeit erreichen können – und das ist am
bisherigen Standort des jetzigen OstalbKlinikums meines Erachtens so –, benötigen wir aus rettungsdienstlicher Sicht in Mutlangen eine Klinikstruktur mit vollausgestatteter Notaufnahme und allem, was eben dahinter sein muss.
Das bedeutet: Das DRK Gmünd könnte sich mit einer Kombi-Lösung arrangieren, wenn in Mutlangen Notfälle versorgt werden können?
Aus rettungsdienstlicher Sicht gesprochen: Wenn wir hier in Mutlangen eine „richtige“ Notaufnahme haben, in der Notfälle adäquat versorgt werden können, dann kann auch eine Kombi-Lösung funktionieren. Ansonsten spreche ich mir klar für ein Haus im westlichen Bereich von
Essingen aus.
Versorgung im Notfall
Fahrtzeit Wenn es um schnelle Hilfe geht, werden die Notfall- und die Klinik-Versorgung oft gleichgesetzt. Dabei sind es zwei verschiedene Bereiche, die ineinander greifen müssen. Verdeutlichen lässt es sich an Zahlen. Für Rettungsdienste gilt eine Hilfsfrist von 15 Minuten bis zum Eintreffen beim Patienten. Nach der ersten Versorgung folgt der Transport in eine Klinik
– nicht in irgendeine, sondern je nach Krankheit, oder Verletzung in die richtige. Das wird bereits heute so gehandhabt. Wer selbst zur Behandlung in eine Klinik der Basis- und Grundversorgung fährt, sollte dafür nach einer Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses rund 30
Minuten unterwegs sein.
Stellungnahme Auch das Bündnis Klinikerhalt möchte klare Entscheidungen in Sachen Notaufnahme. Bündnis-Sprecher Jo Frühwirth fordert in einer Pressemitteilung, dass in Mutlangen und Ellwangen Notaufnahmen bleiben, die von den Rettungsdiensten rund um die Uhr angefahren werden können. Das Bündnis verlangt vom Landkreis, rasch für Klarheit zu sorgen und die Notfallversorgung im Ostalbkreis zu sichern.
Copyright Rems Zeitung, 28.10.2023