Schwäbisch Gmünd. Eigentlich wollten die Initiatoren Stadt- und Kreisrat Alexander Relea-Linder und Kreisvorsitzender Justin Niebius von der Partei „Die Linke“ die außergewöhnliche Diskussionsrunde schon vor den
Europawahlen durchführen, aber sie stieß auch am Montag, einen Tag nach dem Libyen-Gipfel in Berlin, auf großes Interesse. Mit der treffenden Feststellung „Nerv getroffen, Saal zu klein“, begrüßt Moderator Jo Frühwirth, früher SWR-Moderator, den Obmann für Außenpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Roderich Kiesewetter (56) aus Heidenheim und den Obmann für Außenpolitik der Bundestagsfraktion der Linken Stefan Liebich (47) aus Wismar. Wer im proppenvollen Saal des Rokokoschlößchens ein „Hauen und Stechen“ der Diskutanten über die aktuelle außenpolitischen Lage Deutschlands, Europas und der Welt erwartet, wird enttäuscht – Kiesewetter und Liebich duzen sich nicht nur, sie respektieren vielmehr gegensätzliche Standpunkte und sind sogar in manchen Punkten einer Meinung.
Jo Frühwirth fragt nach den „unumstößlichen Gegensätzen“: Für Kiesewetter ist die DDR ein Unrechtsstaat, Liebich will die Auflösung der NATO, lehnt jegliche Waffenexporte und Auslandseinsätze der Bundeswehr ab, Kiesewetter verlangt eine Differenzierung. Einig sind sich beide, „dass wir ein starkes Europa brauchen“.
Die Diskussion dreht sich vor allem um die aktuelle Lage in und mit dem Iran, Irak, Libyen, der Türkei, Syrien, Israel und der Sahel-Zone im Spannungsfeld zwischen den USA mit einem „unberechenbaren“ Präsidenten Donald Trump, Russland mit dem Präsidenten Wladimar Putin und der Türkei mit dem Staatschef Recep Erdogan.
Die gezielte Tötung des iranischen Generals Ghassem Soleimani auf Befehl von Donald Trump und die Aufkündigung des Atomwaffenabkommens mit dem Iran sieht Kiesewetter als „politisch tragisch“ an. Liebich versteht nicht, wieso die Bundesregierung zu diesen Punkten nicht klar Stellung bezieht.
Mit der Einberufung des Libyen-Gipfels, zu dem sogar die Widersacher Fajis Al-Sarrasdsch und General Chalifa Haftar erschienen sind, habe Angela Merkel einen wichtigen Beitrag zur möglichen Befriedung geleistet, sagt Liebich, „aber durch eventuelle kriegerische Einsätze wird nie etwas besser“. Kiesewetter will Militäreinsätze „zurückhaltend“ beurteilen: „Die müssen immer mit einem Aufbauprogramm für die betroffene Bevölkerung verbunden sein“.
Beide Politiker überzeugen mit viel Sachkenntnis der für die Zuhörer sehr komplexen Zusammenhänge. Aus dem Publikum kommen dann auch gezielt Fragen – zur unbefriedigenden Lage auf dem Balkan in Bosnien zum Beispiel. Es fehle ein europäisches Konzept, wie man mit Bosnien umgehe, beklagt Kiesewetter. Liebich meint, „dass es eine Illusion ist, dass alle Länder auf dem Balkan in die EU aufgenommen werden können“. Die EU müsse derzeit zunächst für sich selbst eine Lösung finden und aus dem Dilemma zwischen den jungen „Pro-Europäern“ und den nationalistischen Strömungen herausfinden. Man habe die EU zu sehr „technokratisch“ gesehen, sagt Kiesewetter und bekennt sich als „klarer Anhänger der Vereinigten Staaten von Europa“. Eine „Republik Europa“ ist auch der Zukunftswunsch von Liebich, der sich aber mit dieser Meinung innerhalb seinner Fraktion im Bundestag (noch) nicht durchsetzte.
Diskutiert wurde ferner über die Bekämpfung von Fluchtursachen und über Fragen der Waffenlieferungen beispielsweise an Staaten wie Saudi Arabien. Liebich lehnt Lieferung in Kriegsgebiete grundsätzlich ab, Kiesewetter fordert zur Differenzierung auf.