Radfahrer und Fußgänger – ein Dauerkonflikt?
Aus der heutigen Rems Zeitung: Viele Autofahrer empfinden Radler auf der Fahrbahn als Verkehrshindernis und hupen. Und Radfahrern, die flott unterwegs sind, kommen immer wieder Fußgänger in die Quere. Wenn jemand stürzt, haben solche Begegnungen schmerzhafte Folgen.
Schwäbisch Gmünd. Vor kurzem wurde eine 47-jährige Fußgängerin auf einem Gehweg von einem vermutlich betrunken Radfahrer erfasst. Die Frau stürzte und verletzte sich, während der Radler (der laut Straßenverkehrsordnung gar nicht hätte fahren dürfen) das Weite suchte. In Fußgängerzonen oder auf kombinierten Radwegen kommt es ebenfalls immer wieder zu Konflikten zwischen Fußgängern und Radfahren, weil beide mit sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs sind, sich aber ein und dieselbe Verkehrsfläche teilen müssen.
Unfallstatistik der Polizei gibt keinen Hinweis
Beschwerden darüber werden von Bürgerinnen und Bürgern auch an Mitglieder des Gmünder Gemeinderats heran getragen. Von einer eklatanten Häufung solcher Unfälle konnte das Polizeipräsidium Aalen allerdings aus der aktuellen Statistik nichts herauslesen.
Fast jeder hat es auf dem Marktplatz oder in der Bocksgasse schon erlebt, dass von hinten ein Fahrrad vorbei rauscht und man erst im letzten Moment einen Zusammenstoß vermeiden kann. Schließlich rechnen viele in der Fußgängerzone gar nicht mit Fahrzeugen. Andererseits ist Radfahren in der Innenstadt im Sinne der Verkehrswende eine gute Sache. Was ist zu tun, damit ein harmonisches Miteinander im Alltagsverkehr gewährleistet ist? „Wiederholte Wahrnehmungen geben Veranlassung, auf das Verbot des Fahrens mit Fahrrädern auf den erhöhten Neben-(Geh-)wegen hinzuweisen. Die Ortspolizeibehörden werden ersucht, in ortsüblicher Weise auf dieses Verbot aufmerksam zu machen und ihre Polizeiorgane zu energischem Einschreiten zu veranlassen!“ Diese öffentliche Bekanntmachung von Oberamtmann Maurer, die der Gmünder Radler-Pionier Rainer Aichele aus seinem umfangreichen Archiv gefischt hat, stammt aus dem Jahr 1925 – das Problem ist offensichtlich nicht neu, sondern ein bis heute aktueller Dauerbrenner.
An einer sprunghaften Zunahme des Radverkehrs durch den politisch gewollten Umstieg vom Auto aufs Rad kann es laut Aichele wohl kaum liegen, dass auch in jüngster Zeit von Konflikten zwischen Fußgängern und Radfahrern die Rede ist. „Unter allen Verkehrsteilnehmern gibt es Leute, die sich nicht an die Regeln halten“, sagt der pensionierte Polizeihauptkommissar, Gründungsmitglied der Gmünder Ortsgruppe der Radfahrer-Vereinigung ADFC und langjährige Stadtrat. Dazu gehört nach seinen Worten, dass Radfahrer Gehwege eigentlich nicht benutzen sollten – vor allen dann nicht, wenn für die Fahrbahn daneben ein Limit von 30 km/h gilt.
Das Problem dabei: Wer als Radfahrer auf der Fahrbahn unterwegs ist, wird nicht selten mit verärgerten Autofahrern konfrontiert, die Radler als Verkehrshindernis betrachten und sie durch Hupen oder Gestikulieren von der Straße drängen wollen. Eine Erfahrung, die auch söl-Stadtrat Sebastian Fritz erst kürzlich wieder einmal machen musste. „Im Fall meines Sohnes, der seit kurzem stolzer Besitzer eines Fahrradführerscheins ist, führte das zu einer großen Verunsicherung. Dabei wollen wir doch, dass sich der Anteil an Radfahrenden deutlich erhöht! Da wo es Radwege parallel zur Straße gibt, nutze ich die definitiv auch. Leider ist das selten der Fall – und daher bleibt nichts anderes übrig, als auf der Fahrbahn zu fahren“.
Verkehrsexperte plädiert für gegenseitig Rücksichtnahme
Andrzej Sielicki ist studierter Verkehrsexperte in Diensten des Regionalverbands und ehrenamtlicher Sprecher des Gmünder Agenda-Arbeitskreises Mobilität. Er ist ähnlich wie Fritz und Aichele ein Befürworter der Verkehrswende, fährt als Innenstadtbewohner nur sehr selten Auto und ist generell viel lieber zu Fuß, auf dem Rad oder mit Bus und Bahn unterwegs. „Ein ganz wichtiger Faktor für die Verkehrssicherheit ist die Bereitstellung separater Wege für Fußgänger und Radfahrer – und zwar mit klar erkennbaren Markierungen“.
Eine Sichtweise, die Sielicki mit Stadtsprecher Markus Herrmann teilt. Beiden ist allerdings klar, dass die Schaffung einer solchen Infrastruktur nicht von heute auf morgen zu realisieren ist. Und in einer dicht bebauten Innenstadt ist dies oftmals aufgrund der Platzverhältnisse technisch überhaupt nicht machbar. Kompromisse sind also kaum ganz zu vermeiden.
„Es ist keine Seltenheit, dass es im urbanen Raum in stark frequentierten Fußgängerzonen zu Konflikten von Radfahrern und anderen Passanten kommt“, räumt Sielicki ein. Das sei kein spezifisches Gmünder Problem und resultiere meistens aus der fehlenden Rücksichtnahme. „Radfahrer sollten ihr Tempo anpassen. Und Fußgänger sollten daran denken, dass ein Radfahrer nicht in Sekundenbruchteilen stoppen kann, wenn ihm jemand gedankenlos vors Rad läuft.“
Das man auf dem E-Bike quasi ohne Anstrengung recht flott unterwegs sein kann und der Bremsweg aufgrund des höheren Gewichts länger wird, werde oft von beiden Seiten unterschätzt. Man dürfe deshalb aber nicht versuchen, die unterschiedlichen Gruppen von Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern gegeneinander auszuspielen. Aufklärung und Sensibilisierung sei zielführender, ist der Fachmann überzeugt.
Schrittgeschwindigkeit beim Radfahren?
Dass Radfahrer in der Fußgängerzone nicht mit Schrittgeschwindigkeit unterwegs sind, liegt nach den Worten von Rainer Aichele, der seit Jahrzehnten fast alle Strecken auf dem Rad zurücklegt, in der Natur der Sache. „Sonst müsste man sein Rad ja schieben!“ Und Radfahren ist ja in Gmünder Fußgängerzonen ausdrücklich erlaubt, weil das Rad als sehr gutes und umweltfreundliches Verkehrsmittel in Innenstädten gilt. Wobei der erklärte Fahrrad-Fan im gleichen Atemzug einräumt, dass auch ihm jene Radfahrer missfallen, die zum Beispiel mit 25 km/h durch eine Fußgängerzone flitzen und dabei erwarten, dass ihnen jeder den Weg frei macht.
Vom in diesem Zusammenhang immer mal wieder geforderten „Nummernschild“ an Fahrrädern, um gegebenenfalls einen radelnden Verkehrsrowdy zur Rechenschaft zu ziehen, hält Rainer Aichele unisono mit vielen andern allerdings überhaupt nichts. „So ein Versicherungskennzeichen für Fahrräder gab es mal in der Schweiz. Das hat sich aber nicht bewährt und wurde dort wieder abgeschafft.“ Nicht zuletzt deshalb, weil die Nummern so klein geschrieben waren, dass sie eigentlich während der Fahrt niemand lesen konnte.
Sebastian Fritz betrachtet das Thema durchaus differenziert aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln und bringt dabei seine eigenen Erfahrungen sowohl Rennrad-Fahrer (“Geschwindigkeiten bis 40 km/h sind da keine Seltenheit!“) als auch als Alltagsradler ein. Weil er von Fußgängern oft höre, dass Radfahrer sehr dicht und ohne warnendes Klingeln an ihnen vorbei fahren, versuche er selbst mit gutem Beispiel voranzugehen und mache sich rechtzeitig und deutlich bemerkbar. „Wenn ich erkenne, das Fußgänger mich nicht wahrnehmen, wird sofort gebremst und langsam vorbeigeradelt.“
„Bei Kinder und Hunden gilt es nochmals extra aufzupassen. Leider erlebe ich nicht selten, dass Radfahrer dies nicht berücksichtigen – und das empfinde ich als inakzeptabel.“ Im Gegenzug findet Stadtrat Fritz es allerdings bedauerlich, wenn alle über einen Kamm geschoren werden. Dazu gehört dann auch die verärgerte Reaktion von Autofahrern, wenn er mit dem schnellen Rennrad die Straße benutze. Manchen sei wohl gar nicht bewusst, dass die Nutzungspflicht von Radwegen oder Radstreifen auf Bürgersteigen – zum Beispiel in der Buchstraße, Goethestraße oder Deinbacher Straße – aufgehoben wurde.
Kommunalpolitiker sieht Handlungsbedarf
Als Stadtrat sehe er es als Aufgabe, diese Konfliktsituationen aufzulösen. „Ich verstehe Fußgänger sehr gut, wenn sie sich aufregen. Deshalb setzen wir uns seit langem für eine Trennung von Radfahrern und Fußgänger ein. Dafür braucht es aber eine sichere Infrastruktur für Radfahrende; und da kommen wir in Gmünd leider seit Jahren nur sehr zögerlich voran.“ Zum Beispiel bei der Klarenbergstraße, die eine wichtig Achse zwischen dem Schulzentrum Strümpfelbach und der Innenstadt darstelle.
Die Statistik spricht laut Alltagsradler und Stadtrat Fritz eine klare Sprache: die Zahl der Radfahrenden nimmt weiter zu, und gleichzeitig steigen naturgemäß die Unfallzahlen. Daraus resultiere ein klarer Handlungsauftrag für Städte und Gemeinden, um die Verkehrsflächen neu zu verteilen. Es sei keine Lösung, dass eine Gruppe von Verkehrsteilnehmern auf die andere mit dem Finger zeigt.
Copyright Rems Zeitung, 16.07.2024