Wer hat Angst vor dem „Espe“?
Marginalie aus der Rems Zeitung (06.12.2025):
Es gibt Menschen, die fürchten sich vor Spinnen. Andere vor Gewittern. Und dann gibt es jene, die zittern, wenn irgendwo im Gmünder Osten ein Gitarrenverstärker eingeschaltet wird. Man nennt sie gemeinhin: die AfD-Fraktion.
Kaum irgendwo wird so verlässlich Alarm geschlagen wie beim Stichwort Esperanza. Für viele Jugendliche ein Ort zum Zusammensein, für manche Anwohner offenbar ein Ort, an dem die Nacht zum Tage wird – und für die AfD ein Hort der weltanschaulichen Umnachtung. Man kann sich förmlich vorstellen, wie der Fraktionschef lauscht, ob im Espe vielleicht gerade ein Akkord erklingt, der politisch verdächtig klingt. „E-Moll? Klassisch links!“ Dabei hat die Fraktion ein Herz für Jugendförderung. Allerdings nur für jene Formen, die Leistung, Disziplin und Verlässlichkeit
vermitteln – da hört man ja schon den schnarrenden Unterton. Hauptsache, alle bewegen sich im Gleichschritt und niemand trägt bunte Haare, singt in Dur und hat Meinungsspielraum über das hinaus, was auf einem traditionellen Schützenfest auf den Bierdeckel passt. Und so fordert die AfD, streng wie ein Internatsleiter aus einem 50er-Jahre-Erziehungsratgeber, eine „kritische Überprüfung der Förderpraxis“. Ob das Espe extremistisch ist? Die Polizei sagt: nein. Der Verfassungsschutz sagt: auch nein. Die AfD sagt: „Wir haben Beschwerden über Lärm und Verdachtsmomente, dass ein Künstler mal nicht politisch neutral war.“ Nun, wer jemals auf einem Konzert war, weiß: Politische Neutralität ist dort ungefähr so häufig anzutreffen wie ein Flüsterton beim Heavy Metal.
Währenddessen zeigt sich das Esperanza erstaunlich gelassen. Man spricht von Vielfalt, Freiraum und Selbstbestimmung. In AfD-Ohren vermutlich ein gefährlicher Dreiklang – der „Akkord des schleichenden Werteverfalls“, gespielt auf einer subversiven Western-Gitarre. Und dann auch noch
selbstverwaltet! Ein Albtraum für alle, die Jugend am liebsten in Reih und Glied sehen.
Vielleicht ist es am Ende gar nicht der Lärm, der stört. Vielleicht ist es die Vorstellung, dass junge Menschen selbst entscheiden dürfen, was sie hören, wen sie einladen und welche Gedanken sie austauschen. Eine Art Unabhängigkeit, die sich nicht so recht in Förderrichtlinien pressen lässt, in denen „Kameradschaft“ auffällig oft vorkommt.
Man könnte meinen, die AfD sehe im Esperanza ein kleines, schwarzes Loch, das Steuergelder in linke Paralleluniversen saugt. Die Realität ist allerdings prosaischer: Ein Jugendzentrum, das seit 25 Jahren existiert, kulturelle Arbeit macht – und ab und zu wohl ein bisschen laut ist. Und eigentlich wäre es ganz einfach: Wer wissen will, was im Esperanza wirklich passiert, könnte ja hingehen. Zuhören. Mitreden. Vielleicht sogar tanzen. Aber dafür müsste man seine Angst vor der Bassgitarre überwinden – und das scheint für manche dann doch zu viel verlangt. Aber mal ernsthaft: Dass sich die Stadtverwaltung, geschweige denn die übrigen Fraktionen des Gemeinderats von den Schreihälsen aus der rechten Reihe überzeugen lassen, dass Espe abzusägen? Wohl kaum. Klar, die Stadt muss sparen. Aber auch klar: Wer jährliche „Transparenzberichte“ zur Migration in der Stadt fordert – so wie die AfD-Fraktion – dem geht es
nicht darum, Wege zum Sparen zu finden. Wer das fordert, zeigt mittlerweile einfach
nur das wahre Gesicht.
Copyright Rems Zeitung, 06.12.2025
