Allen war’s bekannt
Artikel aus der REMS ZEITUNG: Integration: Der Tag der Kulturen naht. Am Sonntag, 15. Oktober, wird in Schwäbisch Gmünd das Miteinander gefeiert. Etwas daran wird anders sein als im vergangenen Jahr: der Blick auf den Türkisch-Islamischen Kulturverein. Seine Nähe zur türkisch-rechtsextremen MHP und den Grauen Wölfen ist offensichtlich. Und war es schon immer.
SCHWÄBISCH GMÜND. Ausgerechnet beim Tag der Kulturen kommt es an einem Sonntagnachmittag im Oktober 2022 zum Eklat. Beim Fest soll es um Offenheit, Respekt, Toleranz gehen. Und dann räumen die Gmünder Kulturinitiative a.l.s.o., das Bündnis Aufstehen gegen Rassismus sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund ihren Stand. Sie hinterlassen ein Plakat. „Kein
Integrationsfest mit Faschisten“, steht darauf. Grund ist die Teilnahme des Türkisch-Islamischen Kulturvereins, der Werbung für die „Türk Federasyon“ macht, einer Organisation, die wegen ihrer Nähe zur türkisch-rechtsextremen Partei MHP und den Grauen Wölfen vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Seither geht es um die Frage, wie man mit dem Verein aus der Graf-von-SodenStraße umgeht, wie Integration gelingen kann, ob die Stadtverwaltung genug gegen
die Ideologie unternimmt, die sich im Vereinsgebäude offenbart: Bilder von heulenden Wölfen, MHP-Schriftzüge samt Porträts des Parteigründers, ein Schrank voller Devotionalien. Darf, soll und wird der Verein in diesem Jahr erneut beim Tag der Kulturen auftreten? „Wir gehen davon aus,
dass er nicht teilnehmen wird“, sagt a.l.s.o.-Chef Ali Nagelbach. Und selbst wenn, wolle man sich den eigenen Platz nicht nehmen lassen.
Graue Wölfe – so werden die rund 11.000 Sympathisanten der türkischrechtsextremistischen „Ülkücü Hareketi“ (übersetzt: „Bewegung der Idealisten“) in Deutschland genannt. Anhänger der Bewegung eifern verfassungskritischen Zielen nach: Sie träumen von der Rückkehr eines pantürkischen Reichs von China bis zum Balkan mit einer „ethnisch homogenen Gesellschaft“, vermeintliche Gegner wie etwa Armenier, Griechen, Juden, Kurden oder die USA würden herabgesetzt, berichtet der Verfassungsschutz, der die Vereinigung seit mehr als zwei Jahrzehnten unter der Rubrik „Auslandsbezogener Extremismus und Terrorismus“ beobachtet. Auch der Gmünder Verein spielt dabei eine Rolle, denn er ist Mitglied der „Türk Federasyon“, einer Kurzform für „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland“. Diesem größten „Ülkücü“-Dachverband gehören aus BadenWürttemberg rund 40 Vereine mit etwa 2200 Mitgliedern an, rund 100 davon organisieren sich im Türkisch-Islamischen Kulturverein in der Graf-von-Soden-Straße.
Der Umgang mit ihnen zeigt, wie schwierig Integration sein kann. Die Gmünder Stadtverwaltung setzt auf Dialog, der Verfassungsschutz habe es empfohlen. Immer wieder war Gmünds Oberbürgermeister Richard Arnold bei den Mitgliedern im Vereinsheim, etwa beim Fastenbrechen. Bilder dieser Besuche indet man in sozialen Netzwerken. „Entweder verweigere ich mich, weil es Graue Wölfe sind. Dann hat man morgen eine Parallelgesellschaft. Oder ich gehe dorthin und versuche, mich einzumischen – das ist meine Herangehensweise“, so der RathausChef im Mai dieses Jahres, als die RemsZeitung über die Verbindung des TürkschIslamischen Kulturvereins zu den Grauen Wölfen und der MHP berichtet. Als Wölfe seien ihm, Arnold, die Vereinsmitglieder aber nie begegnet.
Etwas anderes sagt Landrat Joachim Bläse, ehemals Gmünds Erster Bürgermeister, der den Verein damals auch besucht hat und heute eine andere Sicht auf die Dinge hat: „Dass sie zu den Grauen Wölfen zählen, war bekannt. Es war allen bekannt, die damals in der Verantwortung standen.
Wir können nicht mit Organisationen zusammenarbeiten, die unsere Werte nicht respektieren.“ Dennoch betont er, wie wichtig der Dialog mit dem Verein sei. Es stelle sich bloß die Frage, wie man ihn organisiere. Anders formuliert: Genügt es, wenn Kommunalpolitiker zum Teetrinken dort sind?
„Es ist verständlich, wenn ein Stadtoberhaupt […] seinen Gesprächskanal zum Vorstand des Vereins nicht abreißen lässt“, heißt es in einer Pressemitteilung vom Gmünder Bündnis Aufstehen gegen Rassismus, den Dialog könne Arnold weiterhin plegen. Was sich die Bündnis-Mitglieder
jedoch wünschen, sei Haltung: Die Stadt Gmünd solle der „Türk Federasyon“ als Verein keine Plattform beim Tag der Kulturen bieten, beispielsweise durch einen Gemeinderatsbeschluss. In diesem Gremium ist das Thema auch längst angekommen. Drei Fraktionen richten nach dem
ersten Bericht der Rems-Zeitung kritische Fragen an Richard Arnold. „Teilen Sie die Sorge einer wachsenden nationalistischen Ideologie durch die Vereinsaktivität des Türkisch-Islamischen Kulturvereins, die durch eine öffentliche Präsenz gemeinsam mit anderen Kulturvereinen salonfähig gemacht wird?“, wollen Gabriel Baum
(Grüne), Sigrid Heusel (SPD) und Sebastian Fritz (söl) unter anderem wissen. Die Antwort aus der Verwaltung lässt einen irritiert zurück. „Wir haben, genau wie der Verfassungsschutz, keine Hinweise dafür, dass es im Verein politische Arbeit gibt“, heißt es aus dem Rathaus, eine Huldigung der MHP oder einer anderen rechtsgerichteten türkischen Partei inde in diesem Verein nach
derzeitigem Kenntnisstand nicht statt. Man stehe mit dem Verein intensiv in Kontakt und habe dadurch einen sehr guten Einblick in die Aktivitäten. Wer einmal das Vereinsheim des Türkisch-Islamische Kulturvereins in der Graf-von-Soden-Straße besucht hat, muss solche Aussagen zumindest bezweifeln. Überall in diesem Domizil dominieren Symbole der MHP, der Grauen
Wölfe sowie deren Jugendorganisation „Ülkücü Gençlik“. Trotz dieser Symbolik leugnen Mitglieder beim Besuch der RemsZeitung, etwas mit der Ülkücü-Bewegung zu tun zu haben. Und die Stadtverwaltung hilft dem Verein sogar bei der Realisierung eines Jugendraums. 2016 wird der eröffnet, die Verantwortlichen von Verwaltung und Verein wollen kooperieren. Der Ansatz klingt gut: Man will einen Fuß in der Türe haben und wissen, was dort passiert. Nach Informationen
der Rems-Zeitung aus dem Umfeld der Stadtverwaltung habe es eine solche
Kooperation allerdings nie gegeben. „Die personellen Ressourcen waren knapp. Deshalb mussten wir es wieder einstellen“, erklärt dies der städtische Integrationsbeauftragte Hermann Gaugele. Andere Quellen berichten dagegen, dass die Rathausmitarbeiter so gut wie immer vor verschlossener Jugendraumtüre standen. „Sie haben uns abblitzen lassen“, sagt eine Person, die lieber anonym bleiben will, denn das Thema sei selbst im Rathaus heikel.
Was auch söl-Fraktionsvorsitzender Sebastian Fritz bestätigt. Was den Umgang mit dem Türkisch-Islamischen Kulturverein angeht, sei die Verwaltung geteilter Meinung. Und wie es mit Arnolds Ankündigung weitergeht, dass städtische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder vor Ort im
Jugendraum sein sollen? Hier gebe es keine Neuigkeiten, heißt es auf Anfrage aus dem Rathaus.
Die Sorge um Verharmlosung und Duldung treibt das Bündnis Aufstehen gegen
Rassismus um. Und einige Fraktionen aus dem Gemeinderat. Dem Rathaus-Statement, es handle sich beim Türkisch-Islamischen Kulturverein um einen reinen Kulturverein und einen bloßen Treffpunkt „für viele Gmünderinnen und Gmünder mit türkischen Wurzeln“, kann Fritz wenig
abgewinnen. „Wenn man sagt, man bleibt im Dialog, ist das okay“, sagt der Stadtrat. Am Tag der Kulturen aber gehe es um Offenheit, Respekt, Toleranz, eben das, was die Gmünder Charta der Gemeinsamkeiten in ihren Leitlinien vorgibt und wofür der Türkisch-Islamische Kulturverein
nicht stehe.
Ob sich der Verein nun für das diesjährige Fest angemeldet hat, ist bis dato unbekannt. Am Montag, dem Brückentag, konnte man dies im Rathaus nicht herausinden. „Die Kollegen, die es betreuen, sind nicht da“, sagt Verwaltungssprecher Markus Herrmann und verweist auf ein Pressegespräch am Donnerstag. Eine Nachfrage bei Ibrahim Türk, dem Vorsitzenden des Türkisch-Islamischen Kulturvereins, bleibt ebenso erfolglos. Mit der Rems-Zeitung wolle er nicht mehr reden.
Copyright Rems Zeitung, 04.10.2023