Bis Essingen und keinen Schritt weiter
Aus der Rems Zeitung: Krankenhaus: In großer Einmütigkeit haben sich OB Richard Arnold und die Mitglieder des Gemeinderats für den Klinikstandort Essingen ausgesprochen. Gleichzeitig gingen sie mit Aalens OB Frederick Brütting und seinem Gemeinderat hart ins Gericht.
SCHWÄBISCH GMÜND. Manchmal lässt sich die Wichtigkeit eines Anliegens ganz einfach an der Form der Darstellung ablesen. 18 Seiten umfasste das Redemanuskript, das Oberbürgermeister Richard Arnold nahezu wortgetreu ablas, um den Gemeinderat über den aktuellen Sachstand zur
Frage des zukünftigen Klinikstandorts zu informieren. Zudem hatte er den Vorsitzenden der Kreisärzteschaft Dr. Berthold Schuler, den Kreisnotfallbeauftragten Dr. Alexander Stütz und Tobias Gerhardts, Leiter des Rettungsdienstes beim Roten Kreuz in Schwäbisch Gmünd, eingeladen. Allein die Art des Vortrags machte klar: Arnold wollte keinen Raum für Missinterpretation lassen.
Die Kernaussagen von Oberbürgermeister Richard Arnold: „Wohl kaum ein Thema der Kommunalpolitik berührt die Menschen im Ostalbkreis derzeit so sehr und auch so emotional, wie die Frage der Klinik-Standorte“, begann er seinen Vortrag, in dem er noch einmal den Weg zum jetzigen geplanten Standort Essingen nachzeichnete, aber auch deutlich die Grenzen der Kompromissbereitschaft der Gmünder aufzeigte. Er wolle „heute nochmals in aller Ruhe und größtmöglicher politischer Klarheit die wichtigsten Punkte dieser Diskussion und die Entwicklung bis heute aufzeigen. Einer Entwicklung, in der Schwäbisch Gmünd an der Seite des Landrats und des Landkreises bis an die Grenzen eines medizinisch noch vertretbaren Kompromisses
gegangen ist. Eines extremen Kompromisses, der deshalb heute für uns in Schwäbisch Gmünd, Mutlangen und Umgebung nicht mehr verhandelbar ist. Jetzt liegt es in den Händen der anderen Akteure, ebenfalls einen solchen Schritt zu gehen“, wandte er sich bereits zu Beginn Richtung
Aalener Rathaus.
Man habe in der Vergangenheit zwar den ersten Schritt gemacht, und die Verwaltungen der Krankenhäuser unter dem „Dach“ eines Ostalbklinikums zusammengefasst. „Der zweite Schritt – am überregional renommierten Kinder- und Frühchen-Standort Mutlangen auch die Expertise aus Aalen anzusiedeln – wurde allerdings von Aalen vehement kritisiert und letztlich blockiert“, fasste er zusammen. „Zu einer Diskussion über weitere Schwerpunkte (…) kam es so nicht mehr. Das
Kirchturmdenken hatte gewonnen; es blieb weitgehend alles beim Alten“, lautete seine Zustandsbeschreibung. Von daher sei es richtig gewesen, an den verbliebenen Standorten auch in großem Umfang zu investieren. Als Beispiel nannte er die Onkologie und die Notaufnahme in Mutlangen. Zwar frage er sich immer noch, wie es möglich sein solle, mit einem großen
Regionalversorger und weiteren Standorten im Kreis Geld zu sparen, zumal in Bopingen noch ein
Versorger hinzukommen soll. Aber, fügte er an: „Wir gingen und gehen hier Seite an Seite mit dem Landrat und der Kreispolitik. Wir haben uns bis an die Grenzen des Möglichen bewegt. Deshalb: Essingen und keinen Schritt weiter!“
Umso mehr zeigte er sich erstaunt über den Vorstoß aus Aalen. Brütting hatte in einer Hochglanzbroschüre behauptet, ein Anbau und eine Sanierung am jetzigen Standort wären schneller und kostengünstiger zu realisieren. „Schon allein die Tatsache, dass die Anfahrt der Rettungsdienste nochmals deutlich verlängert würde, macht den Aalener Vorstoß nicht nur für uns als Kreispolitiker und -politikerinnen, sondern für alle Beteiligten und Verantwortlichen der Notfallmedizin und Rettungskräfte nicht annehmbar. Der Hinweis, dass diese Zeit dadurch verkürzt werden könne, wenn eine Trasse mit einer Westanbindung neu gebaut wird, trägt dem keine Rechnung. Erstens verlängert sich die Anfahrt selbst in diesem Fall erheblich. Und zweitens hieße das: eine Betonschneise schlagen durch ein seit vielen Jahrzehnten und Jahrhunderten gewachsenes Waldgebiet.“ Auch säte er Zweifel an den Berechnungen aus Aalen: „Die von Aalen genannten
Summen für den Neubau am Standort sowohl für eine höhere Bettenzahl, wie nun für eine geringere Größe werden erstaunlich schnell und konsequent von einem Aalener Architekturbüro immer deutlich unter den Kalkulationen für Essingen zugeliefert.“ Für ihn komme für einen Neubau nur der Standort Essingen in Frage. Dieser Kompromiss sei nicht von kommunalpolitischen Laien am Grünen Tisch ausgekartelt, sondern basiere auf den medizinischen Vorgaben. Bis der Neubau stehe, müsse weiter in die bestehenden Standorte investiert werden. Für Mutlangen fordert er eine 24-stündige Notfallaufnahme an sieben Tagen in der Woche. Unterstützung erhielt er dafür von den anwesenden Fachleuten.
Dr. Berthold Schuler: „Der Aalener Vorschlag führt für die Bewohner im westlichen Teil des Landkreises zu Nachteilen, vor allem bei Schlaganfällen. Bislang wurden diese nach Mutlangen gefahren und dann, wenn notwendig, ins Katharinenhospital nach Stuttgart verlegt.“ Diese Strecke werde schon von Essingen aus länger, vom Standort des Ostalbklinikums umso mehr. „Ich verstehe nicht, dass Brütting dies ignoriert“, so Schuler. Dr. Alexander Stütz: „Die hausärztliche
Versorgung dünnt sich immer weiter aus. Mehr als 1000 Hausarztsitze in BadenWürttemberg sind nicht besetzt, der Schwäbische Wald gilt als unterbesetzt. Da wäre ein gutes Krankenhaus als Back-Up in der Nähe zukünftig wichtig.“
Tobias Gerhardts: „Wenn wir in Zukunft die zeitlichen Vorgaben einhalten wollen, dass wir innerhalb von 60 Minuten den Patienten in ein Krankenhaus bringen müssen, dann geht das maximal bis Essingen und nicht weiter. Sonst können wir die 60-Minuten-Frist nicht halten.“
Die Fraktionen stellten sich einmütig hinter den OB und sparten auch nicht mit Kritik an Aalens OB Brütting. Daniela Dinser (CDU): „Wir begrüßen jede sachliche Diskussion um den Klinikstandort. Zunächst brauchen wir eine Krankenhausplanung, nicht nur für den
ambulanten, sondern auch den stationären Bereich. Es gibt objektive Kriterien. Wir
haben uns nicht nur wegen des Deizits auf einen Regionalversorger im Kreistag geeinigt, sondern auch wegen der Personalsituation und den kommenden Strukturen im Gesundheitswesen. Für uns heißt das: Essingen und keinen Meter weiter. Nicht aus emotionalen, sondern aus sachlichen Gründen. Für Mutlangen brauchen wir auch zukünftig eine Geburtshilfe und eine 24/7-Notfallversorgung. Landrat Bläse muss endlich die Anforderungen für den Regionalversorger deinieren und wie die Interimszeit aussehen soll.“ Karl-Andreas Tickert (Grüne): Wir haben vom Kreistag beauftragte Gutachter. Dieses Gutachten ist die Grundlage für unsere Entscheidungen. Es geht schließlich um die Versorgung der Bevölkerung. Uwe Beck (SPD): „Der Weg zu den Kliniken darf nicht zu lang werden. Vor allem auch nicht für Kinder. Deshalb müssen wir in der Übergangszeit beide Kinderkliniken erhalten. Wir müssen aber auch beantworten, was bleibt in Mutlangen, was kommt hinzu. Viele OPs, die heute noch stationär sind, werden in Zukunft ambulant gemacht. Gibt es dafür genügend Nachsorgeangebote?“
Sebastian Fritz (s.ö.l.): Die Notfallversorgung steht an oberster Stelle. Wenn der Kreistag das ernst nimmt, muss er eine Lösung inden, die den Großteil des Landkreises zufrieden stellt. Eine Entscheidung für einen Regionalversorger, ohne zu wissen, was in Mutlangen bleibt, ist nicht
sinnvoll. Das müssen wir zusammenfassen. Es geht unter Umständen um Menschenleben.“
Karin Rauscher (Freie Wähler Frauen): „Das Gesundheitswesen kann nicht nur betriebswirtschaftlich betrachtet werden. Wir müssen uns die Frage für Mutlangen
stellen, was ist für die Diagnostik nötig? Wenn wir dort nur Schnittwunden oder Knochenbrüche behandeln können, ist dies angesichts des demograischen Wandels nicht ausreichend. Ich halte zudem eine Kinderklinik und eine Geburtshilfe für wichtig.“ Brigitte Abele (Bürgerliste): Die Menschen haben Angst und fragen sich, was passiert, wenn Mutlangen geschlossen wird. Eine Notfallversorgung dort ist notwendig, auch wenn Essingen eröffnet.“ Peter Vatheuer (FDP): Es ist wichtig, dass Gmünd bei einer solch wichtigen Infrastrukturmaßnahme nicht ins Hintertreffen gerät.“ Dr. Ina Neufeld (Grüne), hauptberulich Ärztin am Stauferklinikum, dämpfte die
Erwartungen etwas: „So etwas wie einen Herzkatheder wird es bei einem Level 1-Haus (Anm. der Red.: Das ist in Mutlangen geplant) nicht geben. Dafür braucht man nicht nur die notwendigen Geräte, sondern auch das Personal, ein großes Materiallager und eine Intensivstation.
Wir werden nicht mehrere Häuser personell besetzen können. Bei Herzinfarkt ist es
wichtig, dass die Patienten an ein entsprechend ausgestattetes Haus kommen.
Die Gemeinderätinnen und -räte sorgen sich auch um die zukünftige Notfallversorgung in Mutlangen. Sie soll im Frühling in Betrieb gehen und deutliche Verbesserungen in den Abläufen
bringen. Doch wie lange bleibt sie bestehen? Bei medizinischen Notfällen dreht sich
vieles um die Hilfsfrist. Sie besagt, dass ein Patient spätestens 60 Minuten nach der Alarmierung des Rettungsdienstes in ein Krankenhaus eingeliefert werden kann. In Baden-Württemberg soll der
Rettungsdienst spätestens zwölf Minuten nach Alarmierung beim Patienten sein. In anderen Bundesländern gilt ein Zeitraum von 15 Minuten. Je nach Schwere des Notfalls gehen Notfallmediziner von einer Behandlungszeit von 20 bis 20 Minuten aus. Der Rest der Zeit bleibt dann für den Transport zum Krankenhaus.
Copyright Rems Zeitung, 09.02.2024