Es geht um mehr, als nur die Klarenbergstraße

Aus der heutigen Rems Zeitung: Demokratie: Die Zusammenarbeit und der Austausch im Gmünder Gemeinderat bröckeln. So nehmen es zumindest einige Gemeinderäte wahr – etwa bei der Klarenbergstraße. Die ist für sie nur ein Symbol einer größeren Problematik.
SCHWÄBISCH GMÜND. Seit rund einem Dreivierteljahr ist der neue Gmünder Gemeinderat nun im Amt. Doch einige der Rätinnen und Räte vermissen etwas. „Zusammenarbeit und Austausch über Fraktionsgrenzen hinweg, konstruktive Diskussionen – das fehlt“, findet Sebastian Fritz (s.ö.l.). Der 45-Jährige sitzt seit vier Legislaturperioden im Gmünder Gemeinderat. Früher habe es ein besseres Miteinander gegeben, mehr interfraktionelle Anträge, die die Stadt voranbringen sollten. Das habe sich in der neuen Legislaturperiode verändert. „Das ist ein ganz anderer Zungenschlag.“ Sabine Braun, seit mehreren Jahren für die Grünen im Gremium, hat ein ähnliches Gefühl. „Der Verlauf der Diskussionen ist oft enttäuschend, es wird gar nicht versucht, Kompromisse zu finden. Es werden nur die eigenen Argumente dargelegt und fertig.“ Im persönlichen Miteinander zwischen den Rätinnen und Räten habe sich kaum etwas geändert. „Wir kommen auf einer menschlichen, persönlichen Ebene alle gut miteinander klar, können Meinungen austauschen, diskutieren“, erzählt Braun. Umso unverständlicher sei es, dass einige der Gremiumsmitglieder in den Sitzungen ein komplett anderes Gesicht zeigten. Als Beispiel nennt Fritz die Causa Klarenbergstraße. Viele Jahre lang habe man darüber gesprochen, geplant und um Lösungen gerungen – der neu gewählte Gemeinderat bereitete der Diskussion nun ein jähes Ende. „Dabei liegt ein einstimmiger
Gemeinderatsbeschluss zugrunde, auch der Oberbürgermeister hatte für die Fahrradstraße gestimmt“, betont Fritz. Fraktionen, die bei der Abstimmung gegen die Umgestaltung der Klarenbergstraße zur Fahrradstraße votiert hatten, äußerten sich vor wenigen Jahren noch ganz anders.
Die Bürgerliste etwa stellte im Juli 2021 einen Antrag, der folgendes enthielt: „Zu einer zukunftsgerechten Infrastruktur
gehört auch ein konsequenter Ausbau von Radwegen. Hier erwarten wir von unserer Mobilitätsmanagerin (damals Anja
Thamm, Anm. d. Red.) konstruktive Lösungsvorschläge.“ Die CDU hatte nur ein Jahr zuvor einen Antrag eingereicht, in dem es hieß: „Wir wollen das Fahrradstraßen-Netz stärken, bestehend in Nord-SüdRichtung aus Klarenbergstraße, Gutenbergstraße, Untere Zeiselbergstraße und Grabenallee sowie in West-Ost-Richtung aus Schwerzerallee und Katharinenstraße über die Grabenallee und Paradiesstraße Untere Zeiselbergstraße, Gemeindehausstraße, Wilhelmstraße und Werrenwiesenstraße.“ Weder seien Jahrzehnte seit diesen Anträgen vergangen, noch hätte sich
die personelle Zusammensetzung der Fraktionen oder deren Vorsitz komplett geändert, wundert sich Fritz. Wo dieses
Umdenken herkommt, können er und Braun nicht verstehen. Mittlerweile argumentiert die CDU, dass die dadurch wegfallenden Parkplätze nicht hinzunehmen seien.
„Ich kenne es ja nicht anders, weil ich erst seit dieser Legislatur dabei bin“, meint Lisa Grimmbacher (SPD). Doch auch sie habe der Umgang des Gremiums mit bestimmten Themen verwundert. „Mit der Landesgartenschau 2014 hatte Gmünd wirklich bewiesen, dass es sich lohnt, mal was Neues zu wagen“, erinnert sie sich.
„Die Stadt hat vom Umbau so profitiert, bekam Lob von überall her.“ Diesen Mut, Neues zu wagen, vermisse sie jetzt oft – Beispiel Fahrradstraßen. Carlo Geiger (Die Partei), ebenfalls Gemeinderats-Neuling, geht es ähnlich.
Alle vier – Fritz, Braun, Grimmbacher und Geiger – befürchten, dass die Diskussion um die Klarenbergstraße nur ein
Symptom für ein größeres Phänomen sein könnte: „Es fühlt sich an, als würde man in alte, verkrustete Strukturen zurückkehren.“ Dass es ähnliche Kehrtwenden wie bei der Klarenbergstraße auch bei anderen Themen, etwa bei Klimaschutz, geben könnte, sei nicht mehr auszuschließen.
„Extrem schade“ wäre das, so Fritz. Schließlich habe sich Gmünd seit der Landesgartenschau in eine offene, bunte Stadt verwandelt, die auch viele junge Familien angezogen habe. „Das sollte man nicht aufgeben“, findet Grimmbacher. Diese Bedenken wollen sie auf keinen Fall als Kritik an einzelnen Gemeinderäten oder bestimmten Fraktionen verstanden wissen. „Wir wollen lediglich einen Appell an alle Gemeinderatsmitglieder richten, das bisher gelebte Miteinander nicht aufzugeben“, betont Fritz. Es gelte, Entscheidungen zum Wohle der Stadt zu treffen –
und nicht aus parteipolitischen Zwängen heraus.
Dass sich das Klima im Gemeinderat verändert hat, sehen aber nicht alle so.
„Nach meinem Dafürhalten wird weiterhin rege diskutiert“, meint etwa Ullrich Dombrowski, Fraktionsvorsitzender der Bürgerliste. Gerade in den Ausschüssen und im Ältestenrat werde viel diskutiert – dass dann manches im Gemeinderat durchgewunken werde, sei Sinn der Sache. Im Fall Klarenbergstraße, gibt er zu, sei zuvor wenig nach Kompromissen gesucht worden. Den nun vorliegenden Entwurf für einen „Shared Space“ an der Kreuzung Klarenberg/Untere Zeiselbergstraße nennt Fritz denn auch „Peanuts“.
„Auf politischer Ebene versuchen natürlich alle Fraktionen und Gruppierungen Mehrheiten für ihre politischen Ziele zu
erreichen“, meint Peter Vatheuer (FDP). „Diese Mehrheiten werden teilweise erzielt, teilweise nicht.“ Das sei eben
Demokratie. Er verspüre „in Teilen des Gemeinderats eine gewisse Frustration darüber, dass Entscheidungen nicht in
ihrem Sinne getroffen werden“. Natürlich sei es im Sinne der Demokratie, wenn Mehrheitsentscheidungen getroffen würden, betont Grimmbacher. Sie nehme aber eher wahr, dass „nicht abgestimmt, sondern niedergestimmt“ werde.
Auch die CDU will keine Veränderung im Diskussionsverhalten des Gemeinderats bemerkt haben. Seitens der Fraktion
bestehe immer Gesprächs- und Kompromissbereitschaft. „Bedauerlicherweise haben nicht alle Mitglieder des Gemeinderats an der Klausurtagung teilgenommen, was dem Aufbau einer gemeinsamen, konstruktiven Gremienarbeit förderlich gewesen wäre“, ergänzt David Sopp – und übt seinerseits Kritik: „Wir nehmen wahr, dass wenige Fraktionen zunächst den Weg über Pressemitteilungen und soziale Medien gehen, anstatt ein Gespräch mit den übrigen Fraktionen zu suchen.“ Mangelnde Kommunikation scheint ein Thema für fast alle Fraktionen zu sein. Die AfD hatte sich trotz mehrfacher Nachfrage nicht zu der Sache geäußert.
„Wir müssen wieder dahin kommen, dass wir als Gemeinderat überlegen und diskutieren, was zukunftsfähig ist, was die Stadt weiterbringt“, fordert Fritz. Auch, wenn das größere Veränderungen bedeute. „Veränderungen sind nur am Anfang störend.“
Copyright Rems Zeitung, 06.05.2025