Zu viel Lärm an Gmünder Straßen: Beschönigt die Stadt die Messwerte?

Der Lärmaktionsplan soll die Lebensqualität für Bürger an Hauptstraßen verbessern. Versteckt sich in bürokratischem Zahlensalat ein Messfehler der Stadt mit Folgen?
Schwäbisch Gmünd. Verwendet die Stadt Gmünd ein nicht korrektes Verfahren zur Messung von Straßenlärm? Zu dieser Einschätzung kommt Stadtrat Andreas Benk (söl-Fraktion), der dafür tief ins Thema Lärmmessung eingestiegen ist: „Bevor über das Lärmkonzept der Stadt diskutiert wird, muss man erst einmal festhalten: Die Grundlage ist nicht die Richtige, es braucht eine Neue.“
Die gute Absicht
Der Grundgedanke eines Lärmaktionsplans ist es, Bürger vor Umgebungslärm zu schützen und die Lebensqualität in belasteten Gebieten zu verbessern. Auch Gmünd hat einen Lärmaktionsplan; das Land verpflichtet Kommunen, solche Pläne zu erstellen.
Dem Lärm auf der Spur
Schritt eins im Plan: In viel befahrenen Straßen wird die Lärmbelastung für Anwohner ermittelt, es entsteht eine Lärmkarte. Damit klar ist, wo und wie viele Bürger betroffen sind. In Gmünd sind demnach etwa 15.000 Menschen Verkehrslärm mit einer Stärke von über 65 dB (A) ausgesetzt.
Was gegen Lärm hilft
Schritt zwei im Plan: Maßnahmen, um die Situation von Bürgern zu verbessern; dazu gehören Tempo 30 oder 40, die Sanierung von Straßen und der Einbau von Lärmschutzfenstern.
Die Messverfahren
Es gibt ein Messverfahren, das überholt ist. Seit zwei Jahren schreibt das Verkehrsministerium verbindlich ein neues vor, RLS19 (Richtlinien für den Lärmschutz, auf den Weg gebracht 2019). Genau genommen wird nicht gemessen, sondern berechnet. Die neue Methode ist besser, weil etwa Faktoren wie Steigungen oder Lärm-Reflexionen von Wänden präziser berücksichtigt werden. „Es ist detaillierter, es führt dazu, dass mehr Lärmbetroffene ermittelt werden“, sagt Andreas Benk, der sich mit dem Thema intensiv beschäftigt hat.
Neben Verfahren alt und neu gibt es eine Gmünder Methode. Ein „leicht vereinfachtes Verfahren“, zitiert Benk aus einer Antwort von Bürgermeister Christian Baron auf eine Anfrage seiner Fraktion. Was heißt das – und was sind die Folgen?
Den Lärm schöngerechnet?
Die Methode zeigt den Verkehrslärm für 45 Straßen in Gmünd. Das Dokument ist öffentlich, zu finden auf der Homepage der Stadt, es hat etwa 20 Spalten und tausende Zahlen. Den Spitzenplatz der Lärm-Rangliste hat die B29, aber auch Straßen, an denen viele Menschen wohnen, haben hohe Werte: Königsturmstraße, Eutighofer Straße und Untere Zeiselbergstraße haben Werte nahe an 75 db (A) – so laut ist eine Waschmaschine beim Schleudern.
Was den Stadtrat wundert
„In der Liste werden frühere Daten mit der aktuellen Eigenrechnung der Stadt verglichen.“ Und in vielen Straßen habe das „leicht vereinfachte“ neue Verfahren der Stadt niedrigere Werte ergeben als das früher verwendete. Von 237 Straßenabschnitten trifft das für 65 zu. „Dabei wird immer wieder gesagt, das neue Verfahren ist sensibler, also kommen dadurch nun viel höhere Werte heraus.“ Benk wollte seiner Sache sicher sein: „Ich habe zur Stadt gesagt: Bitte sagen Sie mir, wenn ich mich täusche.“ Aber das sei nicht passiert. Darum heißt sein Fazit: „Die Stadt bringt es fertig, an vielen Stellen durch ihre Eigenrechnung zu niedrigeren Werten zu kommen – damit erscheint es auch weniger notwendig, etwas zu ändern.“
Selbsthilfe statt Abhilfe?
Die effektivste Maßnahme sind Lärmschutzfenster, sie können Lärm um 20 db (A) dämpfen. Geld vom Staat gibt’s dafür keines. Gilt also das Motto: Lieber Bürger, bei Dir ist es laut, musst Du eben Lärmschutzfenster einbauen? „So sieht es aus“, sagt Benk. „Eine Zeitlang gab es Förderprogramme, aber die gibt es nicht mehr.“ Lärmschutzfenster sieht der Stadtrat als „Versuch, die Sache auf Bürger abzuwälzen“. Benk fügt hinzu: „Es ist nur ein passiver Schutz: Im Garten oder wenn man das Fenster aufmacht, ist der Lärm wieder da.“
Lärm vor Gmünder Schulen
Die aktuelle Lärmkartierung des Landes, Grundlage für den Lärmaktionsplan, weist für Gmünd zwei Schulgebäude aus, die einer Lärmbelastung größer als 75 dB (A) ausgesetzt sind – was als gesundheitskritisch gilt. Welche das sind, hat die söl-Fraktion im Gemeinderat Ende April bei der Verwaltung angefragt. „Bis jetzt haben wir auf diese Frage keine Antwort bekommen“, sagt Stadtrat Benk.
Das sagt die Stadt
„Erst müssen die grundsätzlichen Fragen in der Diskussion geklärt werden“, sagt Markus Herrmann, Pressesprecher der Stadt. Das werde im Juli Thema sein im Gemeinderat. „Welche Schulen und welche Straßen konkret in den Blick genommen werden, ist dann ein zweiter Schritt.“ Mit „grundsätzlich“ meint Herrmann: „Wo sind unsere Lärm-Hotspots, und was ist unsere Prioritätenliste bei der Lärmreduktion?“ Dabei gehe es gar nicht um „das eine Dezibel hin oder her“. Herrmann weiter: „Wir wissen doch, wo unsere Lärm-Hotspots sind in Gmünd. Und da wollen wir rangehen.“ Dabei gehe es nicht nur um Werte: „Sondern um die Frage, in welchen Straßen viele Menschen betroffen sind – und wie man also Geld für Lärmschutz am effektivsten investiert.“
Straßen in Gmünd, die krank machen?
Eine Karte von ganz Baden-Württemberg, die Umweltdaten anzeigt – auch die Lärmbelastung von Hauptstraßen in Gmünd: Die können Bürger auf der Homepage der Landesanstalt für Umwelt ansehen (www.lubw.baden-wuerttemberg.de). Die Auflösung ist so genau, dass die Lärmbelastung für einzelne Häuser ablesbar ist.
In Gmünd zeigt sich etwa an der Remsstraße oder der Mutlanger Straße, aber auch in Ortsdurchfahrten von Teilorten wie Lindach oder Herlikofen, dass dort tagsüber ein Geräuschpegel von über 70 dB (A) herrscht – ein Wert, dem das Umweltamt „eine Gesundheitsgefährdung“ zuschreibt.
Copyright Gmünder Tagespost, 17.06.2025